21.September 2022 | 20 Uhr

Panakustika Doppelkonzert

Ensemble Proton, Bandfoto in Blaumännern
Foto: Remo Ubezio

Ensemble Proton (CH)

Bettina Berger – Flöte | Martin Bliggenstorfer – Oboe | Richard Haynes – Klarinette | Elise Jacoberger – Fagott
Coco Samuel Fried – Synthesizer | Vera Schnider – Harfe | Maximilian Haft – Violine | Jan-Filip Ťupa – Violoncello
feat. João Carlos Pacheco – Drumset | Maxime Le Saux – Klangregie

Gegenbewegung versus Gegenbewegung. Kritischer Intellekt und Experiment versus wütende Rebellion und Entfesselung. Zeitgenössische Musik versus Rock’n’Roll. Die äußere Form der beiden Musikkulturen ist grundverschieden. Doch in ihrem Wesen findet sich eine enge Verwandtschaft: der glühende Wunsch die Welt zu ändern, sich den geltenden gesellschaftlichen Mechanismen zu entziehen, in Opposition zum Establishment zu treten ist ihnen gemeinsam.
Bei der zeitgenössischen Musik geschieht dies (zu oft) in akademischen Zirkeln, vor handverlesenem Publikum, in pointiertem intellektuellen Diskurs. Neidvoll blicken ihre Anhänger auf die Wucht des rebellierenden Rock’n’Roll. Wie gern würde man sich an dessen Feuer entzünden, von seiner Wut hinweggefegt werden. Aber Achtung – bloß nicht die intellektuelle Qualität des eigenen Tuns gefährden…
Das Projekt an der Schnittstelle von Neuer Musik und Rockmusik enthält drei Uraufführungen der Komponist*innen Oxana Omelchuk, Hannes Seidl und Steffen Krebber sowie Azulejo des Schweizer Komponisten Arturo Corrales in einer Bearbeitung des Ensembles.
Integraler Bestandteil des Konzepts ist die Erweiterung des Ensembles um ein Drumset sowie die konsequente Elektrifizierung und Abmischung des Sounds unter Verwendung der ästhetischen Stilmittel des Rock’n’Roll, insbesondere des close-miking des Drumsets und der elektromagnetische Tonabnahme der Saiteninstrumente.
 
Arturo Corrales: Azulejo (2012)
This small work was written shortly after the end of the year 2011. Its very few pitches are a distortion of the first notes of the national anthem of El Salvador, a country that can be “proud” of having mutilated its own cathedral and having thrown away the work of one of its great artists.
In its original version, the miniature was played by a large number of diverse instruments, including electric guitar and bass, rhythmically getting out of phase from a basic punk- style drumming. According to some listeners, the rhythmic phasing and the inexorable ostinato are reminiscent of the drills and chisels tearing down the cathedral’s artistic mosaic. Or of a senseless tragicomic protest, a moan for something that is irreversible. Perhaps we are a young people, and in our naivety we despise our culture, our past, our art. As one said so well: uno de cipote es tonto (when young so stupid). In other more seri- ous works I celebrate my homeland. In this lighter work, I deplore it.
 
Oxana Omelchuk: breakcourage (Uraufführung 2022)
Die beeindruckendsten Waffen der Rock-Kultur sind für mich ihre ungeschönte Ehrlichkeit, ihre Zelebrierung von Wahrhaftigkeit, ihr protziges „Nein“ zum Erwachsensein. Die Sucht nach einer ungebremsten Lust, Musik zu machen, die man nicht rechtfertigen muss, war die treibende Kraft beim Schreiben des Stückes „Break Courage“.
Gautier Serres (Igorrr) Worte erklären treffend auch mein Vorhaben für das Stück: „Ich möchte einfach die Musik machen, die ich liebe, ohne mich zu fragen, ob sie zu komplex/ zu einfach ist oder zu weit weg von dem, was die Leute mögen. Ich möchte die Musik machen, die für mich Sinn macht, ohne Einschränkungen, wie eine große Party mit Metalheads, Elektronik-Nerds, Klassik- und Barock-Heads und Zigeunergeigern, die sich betrinken und das Beste aus jedem Genre zusammenbringen.“
 
Steffen Krebber: Lass mich bei den schicken Villen in den Wicken chillen (Uraufführung 2022)
Lass mich bei den chicken Villen in den Wicken chillen! tritt mit Rockmusik, als starkem gesellschaftlichen Agenten im Sinne des »agential realism« (Meeting the Universe Half- way, Karen Barad, 2007) in Zusammenarbeit. Die Faszination für die Offenheit einer relativ großen gesellschaftlichen Gruppe für experimentelle unter diesem Begriff zusammengefasste Musik ist Anlass diese zu besuchen und mit aktueller zeitgenössischer Musik in Verbindung zu bringen. Dabei liegt ein Fokus darauf ekstatische, extrem körperliche Musik mit strukturell nachvollziehbarer Komplexität zu verbinden. Die vorgefundene Musik wird in unkritischer, nicht destruktiver Arbeit erkennbar am Leben gelassen und gleichzeitig extrem und radikal vermischt und hybridisiert, so dass sich in Komplizenschaft mit den vorhandenen, musikalischen Agenten, ihre und damit unsere Geschichte retroaktiv verändert. Die Instrumente sind dabei durch einen Envelope Follower in eine Abhängigkeit gebracht, die allegorisch die »Intraaktion«(ebd.), das Mischen und schon vermischt sein und das gegenseitige ineinander Arbeiten aufgreift: Das Schlagzeug verstärkt die anderen Instrumente des Ensembles immer nur dann, wenn es selber spielt.
 
Hannes Seidl: Brave Chords (Uraufführung 2022)
Rock ist für mich in Klang verwandelte Kraft. Die Musik muss nach physischer Anstrengung klingen, die Energie, die aufgewendet wird, um sie zu erzeugen, überträgt sich auf die Hörenden, und löst ihre ganze Anspannung aus dem Alltag. Der Verstärker multipliziert diese Energie, Feedbacks drohen mit der potenziellen Lautstärke, den Saal zum Bersten zu bringen. Diese Kraft muss gezügelt werden. Rockmusiker*innen geben sich daher gerne extrem diszipliniert, üben täglich, sind pünktlich, haben dem Alkohol abgeschworen – sie brauchen keinen anderen Rausch, sie lassen das Tier in sich auf der Bühne frei, in schnörkellosen, ironiefreien Druckwellen. Hier sind Akkorde gefragt, kaum Linien, Kontrapunkt schon gar nicht.
Brave Chords folgt dieser Logik mit für Rock eher ungewohnten Instrumenten in den ersten beiden Teilen, und versucht am Schluss eine ganz andere Form von Freiheit des Nebeneinander, leiser Klänge. Das Offene ist vielleicht einfacher, wenn der Druck erstmal raus ist.

sizzle club

Johannes Schmitz – E-Gitarre
Uli Böttcher – Elektronik
Jörg Fischer – Schlagzeug 

Uli Böttcher und Jörg Fischer, beide Mitglieder der Wiesbadener Kooperative New Jazz, betreiben seit einigen Jahren Sizzle Club als semi-ad hoc Band mit einer Vorliebe für leisen und lauten Impro-Lärm.
Mit Johannes Schmitz verfolgt das Trio den konzeptuellen Ansatz, in der Improvisation texturell an avantgardistischen Post-Punk und die krautig-komplexe Musik Captain Beefhearts anzuknüpfen.

Uli Böttcher
(Wiesbaden)
Jahrgang 1955, Kunststudium und Arbeit im Bereich Grafik, Bühnenbild und Handwerk.
Schwerpunkt in der Musik zunächst Perkussion, ab Anfang der neunziger Jahre improvisierte
Musik mit Fokus auf elektronischer Klangbearbeitung und Live-Sampling.
Europaweite Konzert-Aktivitäten im kulturellen Off Bereich.

Johannes Schmitz
(Saarbrücken)
Gitarrist, Jahrgang 1987, ist in sehr unterschiedlichen musikalischen Bereichen aktiv. In der Band Ulnaris Sulcus verarbeitet er Einflüsse aus Noise, Punk, Metal, Mittelalter und Pop des 21. Jahrhunderts. An der Akustikgitarre widmet er sich mit dem Bassisten Stefan Scheib dem Werk von Charles Mingus. Daneben ist Schmitz Mitglied in diversen Bands von Christof Thewes (z.B. Hardcore-Jazz-Gruppe Hydropuls).

Jörg Fischer
(Wiesbaden)
Nach einem Schlagzeugstudium in Mainz bei Janusz Stefanski mit Schwerpunkt Jazz ist Fischer seit 25 Jahren vor allem als Impro- und Freejazz-Drummer aktiv, bezieht dabei auch Anregungen aus Avantpunk und klassischer Neuer Musik. Damit ist ein facettenreiches Feld umrissen, welches er in einigen sehr unterschiedlichen Bands beackert – allen gemeinsam bleibt der Fokus auf die freie Improvisation.
 
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